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Brief für Unternehmer- und Freiberufler des Monats November 2011


Sehr geehrte Damen und Herren,


der Ihnen nun vorliegende Brief möchte Sie über wesentliche vollzogene oder geplante Änderungen im Steuer- und Wirtschaftsrecht der letzten Monate informieren und Ihnen Anlass bieten, auch bestehende Sachverhalte zu überprüfen.

Bitte lesen Sie im Einzelnen:


Inhalt

1.

Elektronische Rechnungen ab 1.7.2011 - Lohnt sich die Umstellung?

2.

Porto, durchlaufender Posten oder Entgelt?

3.

Deutschland und Türkei unterzeichnen DBA

4.

Zur Anfechtung von Lohnzahlung vor der Insolvenz durch Insolvenzverwalter

5.

Britische Gerichte sind bei Streitigkeiten innerhalb einer Ltd. zuständig

6.

Stellenanzeige "Geschäftsführer gesucht" ist diskriminierend

7.

Arbeitnehmer darf nicht mehr als eine regelmäßige Arbeitsstätte haben

8.

Tod des Erblassers begründet keinen Urlaubsabgeltungsanspruch der Erben

9.

Standardsoftware auf Datenträger ist immaterielles Wirtschaftsgut

10.

Physiotherapeuten: Nicht jede Massage ist steuerfrei

11.

Reverse-Charge für Handys: Neuer Erklärungsversuch des BMF

12.

Auslegung der Satzung einer Kommanditgesellschaft in Bezug auf Beschlussmehrheiten

13.

Kraftfahrer riskieren bei privater Trunkenheitsfahrt ihren Arbeitsplatz

14.

Zur Offenlegung des "Hin- und Herzahlens"

15.

Abgrenzung Betriebsstilllegung und -übergang

16.

Keine Inlandsberatung durch ausländischen StB ohne Berufshaftpflichtversicherung

17.

Umfang des Markenschutzes in der EU

18.

Bilanzierung eines "Bearbeitungsentgelts" für einen Kredit

19.

Haftung der handelnden Personen bei Vorrats- und Mantelgesellschaft

20.

Bei Urlaubsentgeltberechnung können Zulagen zu berücksichtigen sein

21.

Auflösung einer als GbR ausgestalteten Publikumsgesellschaft

22.

Private Internetnutzung nicht ohne weiteres Kündigungsgrund

23.

Kündigung bei Beschäftigung in katholischer Einrichtung wegen Wiederverheiratung zulässig?

24.

Unangemessen niedrige Streitwertfestsetzung - Betrug?

25.

Formelle Anforderungen bei Betriebsratswahl sind hoch

26.

Arbeitsaltersgrenze bei Piloten ist europarechtswidrig

27.

Gehaltskürzung wegen Betriebsübergangs europarechtswidrig?

28.

Leistungsklage ausgeschiedener Gesellschafter wg. Abfindungsansprüchen zulässig?

29.

Betriebsübergang bei Zwangsverwaltung eines Grundstücks?

30.

Arbeitgeber hat nicht immer Anspruch auf Ersatz von Detektivkosten

31.

Arbeitnehmer können nicht für gesamte Dienstkleidung einen eigenen Spind beanspruchen



1. Elektronische Rechnungen ab 1.7.2011 - Lohnt sich die Umstellung?

Kernaussage
Kürzlich wurde das Steuervereinfachungsgesetz 2011 verabschiedet; es beinhaltet Neuregelungen zu den elektronischen Rechnungen, die rückwirkend ab dem 1.7.2011 gelten. Für die Praxis stellt sich jetzt die Frage, ob nun elektronisch abgerechnet werden sollte bzw. elektronische Eingangsrechnungen akzeptiert werden sollten.

Gesetzliche Neuregelung
Bisher galten nur Rechnungen mit qualifizierter Signatur und solche, die im EDI-Verfahren versendet werden, als elektronische Rechnungen i. S. d. Umsatzsteuergesetzes (UStG). Nunmehr gelten auch Rechnungen die z. B. per E-Mail, Computer-Fax oder Web-Download übermittelt werden, als elektronische Rechnungen. Unverändert muss der Rechnungsempfänger die Echtheit der Herkunft, die Unversehrtheit des Inhaltes sowie die Lesbarkeit gewährleisten. Hierzu kann er neben den bisher akzeptierten Verfahren auch ein innerbetriebliches Kontrollverfahren einsetzen. Dieses muss einen verlässlichen Prüfpfad zwischen Rechnung und empfangener Leistung schaffen. In seiner einfachsten Form soll laut Bundesfinanzministerium (BMF) hier ein Abgleich der Rechnung mit der Bestellung den Anforderungen genügen.

Konsequenzen
Gegenüber der bisher sehr restriktiven Handhabung stellt die Neuerung eine Vereinfachung dar. Allerdings ist noch nicht eindeutig geklärt, wie ein internes Kontrollsystem, das Überprüfungen durch die Finanzverwaltung standhält, etabliert und gegebenenfalls dokumentiert werden kann. Zwar hat das BMF einen "Frage-Antwort-Katalog" zur Neuregelung veröffentlicht, der vermeintlich relativ geringe Anforderungen vorgibt, doch ist fraglich, ob Prüfer sich hierauf einlassen werden. Geschieht dies nicht, droht die Versagung des Vorsteuerabzuges. Wer zukünftig elektronische Rechnungen nutzen möchte, sollte daher mit der Umsetzung warten, bis das BMF sich hierzu verbindlich geäußert hat. Ferner ist zu beachten, dass die Archivierung elektronischer Rechnungen nicht vereinfacht wurde; es ist also nach wie vor nicht möglich, diese in Papierform aufzubewahren. Vielmehr muss die Aufbewahrung auf einem Datenträger erfolgen, der keine Änderungen mehr zulässt. Neben den vermeintlichen Vorteilen der Neuregelung wurden allerdings auch die Kontrollbefugnisse der Finanzverwaltung erheblich verschärft. Nunmehr dürfen die Prüfer auch im Rahmen der Umsatzsteuernachschau, also unangemeldet, Einsicht in die EDV der Unternehmen nehmen. Es bleibt dann keine Zeit mehr, hierauf zu reagieren, so dass die Daten ständig prüfungsbereit gehalten werden müssen.

2. Porto, durchlaufender Posten oder Entgelt?

Kernproblem
Werbeagenturen, Lettershops etc. übernehmen u. a. den Versand von Prospekten, Flyern usw. für ihre Kunden. Dabei wird das Porto zunächst verauslagt und den Kunden anschließend weiterberechnet. Umsatzsteuerlich ist zu differenzieren, ob die Weiterbelastung des Portos einen durchlaufenden Posten oder einen steuerpflichtigen Bestandteil des Entgelts darstellt.

Neue Verwaltungsanweisung
Nach Ansicht der Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt a. M. kann das Porto nur als durchlaufender Posten behandelt werden, wenn der Kunde in Rechtsbeziehungen zur Deutschen Post AG tritt. Dies setzt voraus, dass der Kunde als Absender auf dem Brief vermerkt ist. Die Weiterbelastung des Portos ist damit als durchlaufender Posten zu behandeln, wenn das Unternehmen Briefe für den Auftraggeber versendet, das Porto verauslagt und der Auftraggeber als Absender auf den Briefen genannt ist. Ferner dann, wenn der Auftraggeber sich als Großkunde bei der Deutschen Post AG anmeldet, die Briefe dort einliefert und er als Absender angegeben wird. Verwenden die Unternehmen ihren eigenen Freistempler, so stellt die Weiterbelastung des Portos einen durchlaufenden Posten dar, wenn das Unternehmen in den Stempel das sogenannte "Klischee" des Auftraggebers einsetzt oder auf andere Weise den Kunden, z. B. durch Absenderaufkleber oder Aufdruck des Absenders auf den Umschlag, als eigentlichen Absender kennzeichnet.

Konsequenz
Seitdem die generelle Steuerbefreiung der Post mit Wirkung vom 1.7.2010 entfallen ist, unterliegen Geschäftsbriefe regelmäßig der Umsatzsteuer. Wird der Bruttobetrag nun weiterbelastet und handelt es sich hierbei um einen durchlaufenden Posten, darf die in diesem Betrag enthaltene Umsatzsteuer nicht gesondert ausgewiesen werden. Wird dies nicht beachtet, so schuldet das versendende Unternehmen diese Umsatzsteuer, zusätzlich zu der Umsatzsteuer, die für die eigene Dienstleistung fällig wird. Den Kunden kann der Vorsteuerabzug aus der Rechnung der Post ermöglicht werden, indem ihnen die Originalrechnung der Post ebenfalls weitergeleitet wird.

3. Deutschland und Türkei unterzeichnen DBA

Neues DBA Deutschland und Türkei
Die Bundesregierung hatte vor 2 Jahren das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit der Türkei zum Ablauf des Jahres 2010 gekündigt. Nach Auffassung des Bundesfinanzministeriums war das bisherige Abkommen veraltet und unausgewogen. Ziel war der Abschluss einer modernen, am Musterabkommen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) orientierten Fassung. Am 19.9.2011 ist es zum Abschluss eines neuen DBA auf dem Gebiet der Ertragsteuern gekommen, das rückwirkend mit Beginn des Jahres 2011 angewendet werden soll.

Einzelheiten der Anpassungen im DBA
- Senkung der Quellensteuersätze auf Dividenden von 20 % auf 15 % (bzw. von 15 % auf 5 % für Gesellschaften - außer Personengesellschaften - mit mindestens 25 % der Anteile) sowie auf Zinsen von 15 % auf 10 %. - Begrenztes Besteuerungsrecht des Quellenstaats im Fall von Rentenzahlungen (z. B. bei gesetzlicher Rentenversicherung und Überschreiten von 10.000 EUR nach Rentenfreibetrag). - Wegfall der Anrechnung fiktiver (nicht gezahlter) türkischer Quellensteuer (frühere Art der "Entwicklungshilfe", die für einige Länder im DBA vorgesehen war). - Zugunsten Deutschlands wurde eine sogenannte Umschwenkklausel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode eingeführt. - Der steuerliche Informationsaustausch soll entsprechend des OECD-Standards erweitert werden.

4. Zur Anfechtung von Lohnzahlung vor der Insolvenz durch Insolvenzverwalter

Kernaussage
Die Insolvenzordnung erlaubt die Anfechtung von Rechtshandlungen durch den Insolvenzverwalter, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Gläubiger benachteiligen. So ist eine Handlung, die einen Insolvenzgläubiger befriedigt, anfechtbar, wenn sie in den letzten 3 Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger dies wusste oder die Umstände der Zahlungsunfähigkeit kannte. Ferner ist eine Handlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten 10 Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil den Vorsatz des Schuldners kannte. Hierzu entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) kürzlich im Rahmen der Anfechtung von Lohnzahlungen.

Sachverhalt
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter der Schuldnerin, der Kläger war bei ihr seit 2003 als Betriebsleiter beschäftigt. Ab 2006 geriet die Schuldnerin mit den Lohnzahlungen in Rückstand; im April fand deshalb eine Betriebsversammlung statt. Die Schuldnerin zahlte dem Kläger im Mai 2007 die Nettovergütung für die Monate Januar bis März nur in Teilbeträgen aus. Im September desselben Jahres wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beklagte erklärte gegenüber den Teilzahlungen die Anfechtung und forderte die Beträge vom Kläger zurück. Mit seiner Klage wollte der Kläger festgestellt wissen, dass er dazu nicht verpflichtet sei, er habe im Zeitpunkt der Lohnzahlung nichts von der möglichen Zahlungsunfähigkeit gewusst. Der Beklagte meint, schon aufgrund der Betriebsversammlung habe der Kläger die Umstände der Zahlungsunfähigkeit gekannt. Die Klage war in allen Instanzen erfolgreich.

Entscheidung
Soweit die Lohnzahlungen der Schuldnerin im Mai 2007 der Vergütung der vom Kläger in den vorausgehenden 3 Monaten erbrachten Arbeitsleistungen dienten, unterlagen sie als Bargeschäft nicht der Anfechtung, weil noch der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang mit der Gegenleistung bestand. Im Übrigen waren keine Tatsachen vorgetragen worden, aus denen sich eine positive Kenntnis des Klägers von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ergeben hätte. Auch von den Umständen, die auf die Zahlungsunfähigkeit schließen ließen, hatte der Kläger keine Kenntnis; es reichte in soweit nicht aus, dass er vom Zahlungsrückstand gegenüber anderen Arbeitnehmern wusste. Er hatte ferner keinen Einblick in die Finanzbuchhaltung der Schuldnerin und nahm dort selbst auch keine Leitungsaufgaben wahr.

Konsequenz
Lohnzahlungen, die wenige Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eines Unternehmens geleistet werden, sind in der Regel nicht anfechtbar. Aber auch wenn unter den Arbeitnehmern bekannt ist, dass die Firma mehrere Monate mit Lohnzahlungen im Rückstand ist, kann daraus nicht unbedingt auf die für eine Anfechtung der Lohnzahlungen notwendige Kenntnis der Arbeitnehmer von der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens geschlossen werden.

5. Britische Gerichte sind bei Streitigkeiten innerhalb einer Ltd. zuständig

Kernaussage
Der maßgebliche Sitz einer Gesellschaft bestimmt sich bei einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union nach der Gründungstheorie und damit grundsätzlich nach dem Satzungssitz des Herkunftsstaats.

Sachverhalt
Die Beklagte ist eine Private Limited Company (Ltd.) mit eingetragenem Sitz in England. Sie ist die persönlich haftende Gesellschafterin einer Ltd. & Co. KG, die ihren Sitz in Deutschland hat und dort ein Sportstudio betreibt. Im Gesellschaftsvertrag wurde eine Regelung über die Zuständigkeit deutscher Gerichte für Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis getroffen. Der Kläger ist zu 45 % an der Beklagten beteiligt. Im März 2008 beschloss die Gesellschafterversammlung in Abwesenheit des Klägers, dass er als Director der Beklagten ausscheide. Gegen diesen Beschluss erhob der Kläger Nichtigkeitsklage. Vor dem Landgericht hatte die Klage Erfolg. Berufungsgericht und Bundesgerichtshof wiesen die Klage hingegen als unzulässig ab.

Entscheidung
Es fehlte an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte. In der EU-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist die ausschließliche Zuständigkeit für Klagen geregelt, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben. Nach diesen Vorschriften wird die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts begründet, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft ihren Sitz hat. Da die Beklagte in einem Mitgliedsstaat der EU gegründet worden war, sind die Regeln der Gründungstheorie maßgebend für die Entscheidung, wo sich der zuständigkeitsbegründende Sitz der Beklagten befindet. Dies ist grundsätzlich der im Herkunftsstaat bestehende Satzungssitz. Die im Gesellschaftsvertrag getroffene Gerichtsstandvereinbarung ist unwirksam, da es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt. Aus diesem Grund waren vorliegend die britischen Gerichte zuständig.

Konsequenz
Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Gründung einer britischen Ltd. in der gesellschaftsrechtlichen Umsetzung erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen kann. Die im deutschen Gesellschaftsrecht eingeführte Unternehmergesellschaft UG (haftungsbeschränkt) sollte daher als Alternative erwogen werden. Ob es dabei allerdings im Einzelfall plausible Sachgründe für die Herabsetzung der Mindestkapitalschwelle (25.000 EUR) gibt, sollte genau untersucht werden.

6. Stellenanzeige "Geschäftsführer gesucht" ist diskriminierend

Kernaussage
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, soll u. a. Benachteiligungen aus Gründen des Geschlechts verhindern. Zur Verwirklichung dieses Ziels erhalten die durch das Gesetz geschützten Personen Rechtsansprüche gegen Arbeitgeber und Private, wenn diese ihnen gegenüber gegen die gesetzlichen Diskriminierungsverbote verstoßen. Hierzu entschied das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe kürzlich, dass Stellenanzeigen, die nur in männlicher oder weiblicher Form verfasst sind, gegen das Benachteiligungsverbot des AGG verstoßen und sprach einer Benachteiligten eine Entschädigung zu.

Sachverhalt
Im Auftrag des beklagten Unternehmens gab eine Kanzlei in einer Tageszeitung 2 Stellenanzeigen mit folgendem Inhalt auf: "Geschäftsführer gesucht… Fähigkeiten in Akquisition sowie Finanz- und Rechnungswesen sind erforderlich, Erfahrungen in Führungspositionen erwünscht. Frühere Tätigkeiten in der Branche nicht notwendig…". Die daraufhin übersandte Bewerbung der auch als Anwältin zugelassenen Klägerin wurde nicht berücksichtigt. Sie meldete Entschädigungsansprüche von 25.000 EUR an und begehrte Auskunft über den Auftraggeber der Stellenanzeige. Diesen benannte die Kanzlei erst nach entsprechender Verurteilung. Die sodann erhobene Klage der Anwältin auf Entschädigung wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung im Bewerbungsverfahren wies das Landgericht zurück. Das OLG gab ihr teilweise in Höhe von 13.000 EUR statt.

Entscheidung
Aufgrund des geschlechtsbezogenen Benachteiligungsverbotes darf ein Arbeitgeber nicht nach männlichen oder weiblichen Kandidaten suchen. Geschlechtsneutral ist eine Ausschreibung nur formuliert, wenn sie sich in ihrer gesamten Ausdrucksweise sowohl an Frauen als auch an Männer richtet. Das beklagte Unternehmen hatte indes den männlichen Begriff auch im Kontext der Anzeige nicht weiter relativiert. Dass die Stellenanzeige nicht von dem beklagten Unternehmen, sondern einer Kanzlei formuliert wurde, änderte nichts; bedient sich der Arbeitgeber nämlich zur Stellenausschreibung eines Dritten, so ist ihm dessen Verhalten zuzurechnen. Eine nicht geschlechtsneutrale Stellenausschreibung führt zu einer Vermutung der Benachteiligung und damit zu einer Beweislastumkehr: das ausschreibende Unternehmen muss nachweisen, dass der/die Betroffene nicht wegen des Geschlechts benachteiligt wurde. Dies konnte das beklagte Unternehmen hier nicht. Das OLG hielt dementsprechend eine Entschädigung im Umfang eines Monatsgehalts für angemessen.

Konsequenz
Eine Stellenanzeige, die mit "Geschäftsführer gesucht" überschrieben ist, ohne den Zusatz "/in" bzw. "m/w" zu enthalten, benachteiligt Frauen, die sich erfolglos um die Stelle bewerben. Die Betroffenen haben Anspruch auf eine Entschädigung, die so hoch bemessen sein muss, dass zukünftig eine abschreckende Wirkung besteht.

7. Arbeitnehmer darf nicht mehr als eine regelmäßige Arbeitsstätte haben

Kernproblem
Ob ein Arbeitnehmer eine oder mehrere regelmäßige Arbeitsstätten hat, kann Anknüpfungspunkt für viele steuerliche Fragestellungen sein. Dies gilt z. B. für die Bemessung von steuerlichen Sachbezügen bei der Überlassung von Firmen-Pkw, wenn der Wagen auch für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werden kann. Dass es hier auch auf die Häufigkeit der Fahrten zur Arbeitsstätte ankommt und bei Unregelmäßigkeit eine Minderung der Sachbezüge in Betracht kommt, hatte der Bundesfinanzhof (BFH) jüngst schon festgestellt. Andere Fragestellungen ergeben sich aus dem Reisekostenrecht. Werden Fahrten des Arbeitnehmers zwischen mehreren regelmäßigen Arbeitsstätten durchgeführt, ist eine steuerfreie Arbeitgebererstattung von Fahrtkosten oder Verpflegungsmehraufwand als Reisekosten ebenso wenig möglich, wie ein alternativer Werbungskostenabzug des Arbeitnehmers. Unliebsame Überraschungen gab es dann in der Vergangenheit bei Lohnsteuer-Außenprüfungen, wenn der Prüfer mehrere Arbeitsstätten identifizieren konnte.

Bisherige Rechtsprechung
Nach der Rechtsprechung des BFH konnte ein Arbeitnehmer mehrere regelmäßige Arbeitsstätten nebeneinander haben (so z. B. rechtskräftig entschieden für mehrere im Wechsel aufgesuchte Busdepots eines Linienbusfahrers oder Rettungsstationen eines Rettungsassistenten). Gleiches galt, wenn die betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer durchschnittlich im Kalenderjahr an einem Arbeitstag je Arbeitswoche aufgesucht wurde.

Änderung der Rechtsprechung
Ein Arbeitnehmer kann nach neuer Auffassung des BFH nicht mehr als eine regelmäßige Arbeitsstätte innehaben, auch wenn er fortdauernd und immer wieder verschiedene Betriebsstätten seines Arbeitgebers aufsucht. In einem solchen Fall sei der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit zu bestimmen. Ferner sei insbesondere zu berücksichtigen, welcher Tätigkeitsstätte der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugeordnet worden sei, welche Tätigkeit er an den verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnehme und welches konkrete Gewicht dieser Tätigkeit zukomme. Diese Leitsätze können nach Zurückverweisung an das Finanzgericht einem Geschäftsführer zugute kommen, der in einem bei seiner Wohnung belegenen angemieteten Kellerraum des Arbeitgebers (mit separatem Zugang) Wartungs- und Optimierungsarbeiten an der betrieblichen EDV-Anlage durchführte. Gleiches gilt für einen Außendienstmitarbeiter, der den Betriebssitz des Arbeitgebers regelmäßig nur zu Kontrollzwecken aufsuchte. Auch eine für 15 Filialen einer Supermarktkette zuständige Managerin übe eine wechselnde Auswärtstätigkeit ohne regelmäßige Arbeitsstätte aus, wenn keine der Tätigkeitsstätten eine hinreichend zentrale Bedeutung habe.

Konsequenz
Nach diesen Entscheidungen kommt auch (wie im 1. Fall geschildert) der Vermietung des Arbeitsraums an den Arbeitgeber (hier über die Lebensgefährtin gestaltet) besondere Bedeutung zu, soweit eine Trennung zur häuslichen Sphäre möglich ist.

8. Tod des Erblassers begründet keinen Urlaubsabgeltungsanspruch der Erben

Kernaussage
Mit dem Tode einer Person geht deren Vermögen als Ganzes auf die Erben über; so ordnet es das Gesetz an. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) befasste sich aktuell mit der Frage, ob dazu auch ein Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs zählt, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod nicht genommen werden konnte.

Sachverhalt
Die Klägerin und ihr Sohn sind gemeinschaftliche Erben des 2009 verstorbenen Ehemannes der Klägerin. Der Erblasser war seit 2001 als Kraftfahrer bei dem beklagten Unternehmen angestellt. Seit Mitte 2008 bis zu seinem Tode war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Urlaub konnte ihm 2008 und 2009 nicht gewährt werden. Das Arbeitsverhältnis des Erblassers endete mit seinem Tode; die Klägerin verlangte die Abgeltung des nicht gewährten Urlaubs. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab; das Bundesarbeitsgericht bestätigte schließlich diese Entscheidung.

Entscheidung
Die Richter urteilten, dass der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers mit seinem Tode erlischt; er wandelt sich nicht in einen Abgeltungsanspruch um. Die Klägerin konnte daher im Wege der Gesamtrechtsnachfolge keinen Urlaubsabgeltungsanspruch erwerben.

Konsequenz
Zwar ist der Urlaub nach den Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen werden kann. Da der Urlaubsanspruch selbst aber mit dem Tode des Berechtigten zum Erlöschen gelangt, sind auch entsprechende Urlaubsabgeltungsansprüche nicht vererblich.

9. Standardsoftware auf Datenträger ist immaterielles Wirtschaftsgut

Kernproblem
Steuerpflichtige können für die zukünftige Anschaffung oder Herstellung eines abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens unter bestimmten Voraussetzungen gewinnmindernde Abzugsbeträge von bis zu 40 % der geplanten Kosten geltend machen (ab 2008 als Investitionsabzugsbetrag, davor als Ansparabschreibung). Der Abzug setzt jedoch die "Beweglichkeit" des Anlageguts voraus. Beweglich oder unbeweglich können nach allgemeiner Auffassung nur materielle Wirtschaftsgüter sein, nicht dagegen immaterielle. Wird ein Abzugsbetrag für eine geplante Anschaffung von Software begehrt, wird das in den meisten Fällen zu Problemen führen, denn die Finanzverwaltung sieht grundsätzlich nur Trivialprogramme von bis zu 410 EUR als materiell an.

Sachverhalt
Ein selbstständiger Systementwickler und Systeminstallateur beantragte eine Ansparabschreibung auf den beabsichtigten Erwerb von Systemsoftware von fast 70.000 EUR. Das Finanzamt gewährte zunächst den Abzug und machte ihn dann später im Rahmen einer Betriebsprüfung wieder rückgängig. Der Prüfer war der Auffassung, bei Systemsoftware handele es sich unabhängig von der Handelsüblichkeit um ein immaterielles Wirtschaftsgut. Das Finanzgericht dagegen sah in datenträgergebundenen Standardprogrammen - im Gegensatz zu Individualsoftware - materielle und bewegliche Wirtschaftsgüter. Das Finanzamt zog vor den Bundesfinanzhof (BFH) und bekam Recht.

Entscheidung
Der BFH hielt an dem Grundsatz fest, dass Computerprogramme grundsätzlich immaterielle Wirtschaftsgüter sind. Dies gelte auch dann, wenn sie auf einem Datenträger gespeichert sind. Ausnahmen seien für Datensammlungen möglich, die keine Befehlselemente und allgemein bekannte und jedermann zugängliche Daten enthielten, wie z. B. Zahlen oder Buchstaben. Für eine Beurteilung komme es darauf an, auf welches Wirtschaftsgut sich der künftige Anschaffungsvorgang beziehe. Nicht maßgebend sei die Funktion der Software nach ihrer Verbindung mit dem bei dem Erwerber bereits vorhandenen Gerät. Wo sich der Schwerpunkt des Gesamtpakets nach der Verbindung befinde, sei unerheblich. So beschränke sich im Streitfall der materielle Gehalt auf den Datenträger. Dieser diene dem Transport der Software sowie dem Übertrag in einen Computer und verliere anschließend seine Bedeutung.

Konsequenz
Unterläuft bei Auswahl der Investition ein Fehler, drohen Zinsnachteile. Ein Austausch mit einem anderen Wirtschaftsgut kommt dann meist aus zeitlichen Gründen wegen des fehlenden Finanzierungszusammenhangs nicht mehr in Betracht.

10. Physiotherapeuten: Nicht jede Massage ist steuerfrei

Kernaussage
Heilberufliche Leistungen sind nur von der Umsatzsteuer befreit, wenn sie ein therapeutisches Ziel verfolgen. Leistungen, die lediglich der Wellness oder der Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens dienen, fallen nicht hierunter.

Neue Verwaltungsanweisung
Die Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt a. M. hat nun die Leistungen von Physiotherapeuten bzw. staatlich geprüften Masseuren unter die Lupe genommen. Deren Leistungen sind nur dann steuerbefreit, wenn sie ärztlich verordnet sind oder es sich um Leistungen im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme handelt. Leistungen, die ohne ärztliche Anordnung lediglich aus kosmetischen Gründen durchgeführt werden bzw. der Wellness dienen, sind dagegen nicht steuerbefreit. Behandlungen im Anschluss an eine ärztliche Diagnose, für die die Patienten die Kosten selbst tragen, sind nun auch nur noch steuerbefreit, wenn sie ärztlich verordnet sind. Anderenfalls handelt es sich um steuerpflichtige Präventionsmaßnahmen. Soweit physiotherapeutische Leistungen steuerpflichtig sind, kommt der ermäßigte Steuersatz zur Anwendung.

Konsequenzen
Physiotherapeuten müssen sich darauf einstellen, dass die Finanzverwaltung die genannten Vorgaben überprüfen wird. Hierbei fordert der Fiskus, dass die Steuerbefreiung in jedem Einzelfall nachzuweisen ist. Dies dürfte insbesondere für die ärztlichen Verordnungen gelten. Die entsprechenden Unterlagen sind daher aufzubewahren. Soweit steuerpflichtige Umsätze vorliegen, bedeutet dies nicht zwingend, dass auch Umsatzsteuer abzurechnen und abzuführen ist. Sofern die Umsatzgrenze für Kleinunternehmer (17.500 EUR) nicht überschritten wird, kann dies unterbleiben. Soweit Umsatzsteuer entsteht, ist zu berücksichtigen, dass korrespondierend hierzu das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht. Der Vorsteuerabzug ist jedoch nur möglich, wenn ordnungsgemäße Eingangsrechnungen vorliegen. Hierauf sollte geachtet werden, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass Umsatzsteuer entsteht.

11. Reverse-Charge für Handys: Neuer Erklärungsversuch des BMF

Kernaussage
Mit Wirkung vom 1.7.2011 wurde die Umkehr der Steuerschuldnerschaft (Reverse-Charge) auf die Lieferung von Mobilfunkgeräten und integrierten Schaltkreisen ausgeweitet, soweit das Entgelt für die jeweilige Lieferung mindestens 5.000 EUR beträgt. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hatte mit Schreiben vom 24.6.2011 zur Neuregelung Stellung bezogen. Praxistauglich war dieses Schreiben jedoch nicht. Das BMF räumt selbst "Anwendungsprobleme" ein, die nun durch ein weiteres Schreiben beseitigt werden sollen.

Neue Verwaltungsanweisung
Im Vergleich zur bisherigen Verlautbarung ergeben sich folgende wesentliche Neuerungen: CB-Funkgeräte und Walkie-Talkies gelten nicht als Mobilfunkgeräte i. S. dieser Vorschrift. - Die Abgrenzung zwischen unverbauten (Reverse-Charge) und verbauten integrierten Schaltkreisen (kein Reverse-Charge) wird präzisiert. - Aus Vereinfachungsgründen können Gegenstände, die unter die Zollposition 85423190 fallen, als integrierte Schaltkreise angesehen werden. - Lieferungen stellen einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang dar, der maßgeblich für das Erreichen der Grenze von 5.000 EUR ist, wenn sie im Rahmen eines einzigen Erfüllungsgeschäftes ausgeführt werden. Lieferungen aus einem Konsignationslager sowie aufgrund eines Rahmenvertrages, der lediglich die Lieferkonditionen, nicht jedoch die zu liefernde Menge festlegt, gelten nicht als einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang. Dies gilt ebenso für Sammellieferungen im Rahmen von dauerhaften Geschäftsbeziehungen, denen jedoch jeweils einzelne Erfüllungsgeschäfte zugrunde liegen. - Ist nicht klar, ob die Grenze von 5.000 EUR erreicht wird, können die Vertragspartner vereinfacht von der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ausgehen. Dies setzt allerdings voraus, dass sich die Vertragspartner hierüber einig sind und der Leistungsempfänger die Umsätze auch korrekt versteuert.

Konsequenzen
Das BMF-Schreiben klärt einen wesentlichen Teil der Fragen, die das erste Schreiben noch offen ließ. Trotzdem trägt die Regelung nicht gerade zu einer Vereinfachung des Umsatzsteuergesetzes (UStG) bei. Unternehmer, die mit den betroffenen Produkten handeln, müssen sich mit der Auffassung der Finanzverwaltung auseinandersetzen.

12. Auslegung der Satzung einer Kommanditgesellschaft in Bezug auf Beschlussmehrheiten

Rechtslage
Über das Zustandekommen eines Gesellschafterbeschlusses entscheidet die Auszählung der Stimmen. Nach dem GmbH-Gesetz bedarf es zur wirksamen Beschlussfassung grundsätzlich der einfachen Mehrheit, die ausschließlich nach der Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen zu bestimmen ist. Diese kapitalgesellschaftsrechtlichen Grundsätze sind generell auch auf die Publikumsgesellschaft in Form einer Kommanditgesellschaft (KG) anwendbar. Ist in einem Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft allerdings geregelt, dass über bestimmte Beschlussgegenstände die Mehrheit der anwesenden Stimmen entscheidet, bedeutet das für die schriftliche Beschlussfassung, dass die an der Abstimmung teilnehmenden Gesellschafter maßgeblich sind.

Sachverhalt
Der Kläger ist Kommanditist der Beklagten, einem geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer KG. Der Gesellschaftsvertrag enthält bestimmte Regelungen zur Beschlussfassung; für die dort genannten Gegenstände, u. a. auch die Änderung des Gesellschaftsvertrages, bedarf es einer ¾ Mehrheit der anwesenden Stimmen. Alle anderen Beschlüsse bedürfen der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Im Jahr 2006 sollte in schriftlicher Abstimmung über die Änderung des Gesellschaftsvertrages beschlossen werden. Dem Kläger wurde sodann mitgeteilt, die Beschlussanträge seien mit der erforderlichen Mehrheit angenommen worden. Hiergegen wandte sich der Kläger und begehrte die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses.

Entscheidung
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs wurden die angefochtenen Änderungsbeschlüsse mit der satzungsmäßig festgelegten Stimmenmehrheit gefasst. Die entsprechende Regelung verlangt für das Zustandekommen eines Beschlusses nicht die 75 %ige Mehrheit aller, sondern lediglich der an der Abstimmung teilnehmenden Gesellschafter. Bei schriftlicher Beschlussfassung sind unter "anwesenden" Stimmen nur die Gesellschafter gemeint, die sich an der schriftlichen Abstimmung beteiligen. Auch im schriftlichen Verfahren besteht zwischen der Mehrheit der anwesenden (teilnehmenden) und der Mehrheit der abgegebenen Stimmen ein Unterschied. Denn auch derjenige, der am schriftlichen Verfahren teilnimmt, kann sich der Stimme enthalten. Die Auslegung des Gesellschaftsvertrages ergab daher, dass die Mehrheit der anwesenden Stimmen als Mehrheit aller teilnehmenden und nicht als Mehrheit der mit Ja oder Nein stimmenden Gesellschafter zu verstehen ist.

Konsequenz
Wie die Mehrheit bei Gesellschafterbeschlüssen zu verstehen ist, bedarf der klaren Formulierung. Gewollte inhaltliche Unterschiede sind deutlich im Gesellschaftsvertrag herauszuarbeiten.

13. Kraftfahrer riskieren bei privater Trunkenheitsfahrt ihren Arbeitsplatz

Kernaussage
Ab einem Blutalkoholgehalt von 0,5 ‰ droht Autofahrern ein Fahrverbot, auch wenn bei der Trunkenheitsfahrt keine Anzeichen von Fahrunsicherheit zu erkennen waren. Hierzu entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen kürzlich, dass ein Kraftfahrer, der bei einer privaten Autofahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,36‰ erwischt wird, seinen Arbeitsplatz verlieren kann.

Sachverhalt
Der Kläger arbeitete seit 1997 bei seinem Arbeitgeber als Kraftfahrer. Er ist zu 50 % schwerbehindert und wiegt bei einer Körpergröße von 192 cm nur 64 kg. Ab Herbst 2009 war er arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2010 begann eine Wiedereingliederung, die bis Juni 2010 dauern sollte. Anfang Juni 2010 wurde der Kläger bei einer privaten Autofahrt mit 1,36 ‰ Alkohol im Blut von der Polizei kontrolliert. Neben dem Führerscheinentzug erging außerdem ein Strafbefehl. Im Juli 2010 kündigte der Arbeitgeber ihm deshalb ordentlich zum 30.9.2010. Mit der dagegen erhobenen Kündigungsschutzklage wandte der Kläger ein, er habe wegen seiner Erkrankung und seines extremen Untergewicht vor der Trunkenheitsfahrt nicht einschätzen können, wie sich die Alkoholkonzentration in seinem Blut entwickeln würde. Außerdem sei kein Schaden entstanden. Seit Juni 2011 sei er auch wieder im Besitz einer Fahrerlaubnis. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Entscheidung
Wer als Kraftfahrer seine Fahrerlaubnis verliert, muss mit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen. Die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung sei unmöglich geworden, so die Richter. Die Erkrankung des Klägers, sein Untergewicht und auch seine lange Beschäftigungszeit stünden einer Kündigung nicht entgegen. Als langjähriger Kraftfahrer müsse der Kläger um die tatsächlichen und rechtlichen Risiken des Alkoholkonsums im Straßenverkehr wissen. Besonders unverantwortlich war nach Ansicht der Gerichte, dass der Kläger sich trotz gerade überstandener schwerer Erkrankung alkoholisiert in den Straßenverkehr begeben hat. Auf die Entstehung eines Schadens komme es nicht an, ebenso wenig darauf, dass der Kläger inzwischen wieder im Besitz einer Fahrerlaubnis ist. Es komme auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung an. Zu diesem Zeitpunkt sei gänzlich ungewiss gewesen, ob und wann der Kläger seine Fahrerlaubnis zurückerhalte. Das Arbeitsverhältnis hätte jedenfalls 9 Monate nicht durchgeführt werden können. Das genüge für eine ordentliche Kündigung.

Konsequenz
Die mit einer privaten Trunkenheitsfahrt verbundene Entziehung der Fahrerlaubnis kann sogar eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen; auch dann, wenn kein Schaden entstanden ist.

14. Zur Offenlegung des "Hin- und Herzahlens"

Kernaussage
Im GmbH-Recht versteht man unter sog. "Hin- und Herzahlen" von Einlagen eine Umgehung der Kapitalaufbringung. Diese liegt vor, wenn die Einlageleistung, wie von vornherein beabsichtigt, "in Raten" (z. B. 2 Teilbeträge im Abstand von 1 bzw. 2,5 Monaten) an den Inferenten zurückfließt. Der Gesellschafter ist nur dann von seiner Einlageverpflichtung befreit, wenn die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt ist, der jederzeit fällig ist oder fällig gestellt werden kann. Zu der im Aktienrecht verankerten Parallelvorschrift entschied das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart nun, dass die beschriebene Privilegierung eine Offenlegung der Vereinbarung gegenüber dem Registergericht bei der Anmeldung erfordert.

Sachverhalt
Das zuständige Registergericht hatte den Beteiligten mitgeteilt, dass eine mit notariell beglaubigter Urkunde gegenüber dem Gericht vorgenommene nachträgliche Offenlegung eines Hin- und Herzahlens unzulässig sei, weil diese nicht mit der Erstanmeldung bzw. der Anmeldung über die Kapitalerhöhung verbunden war. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos. Das OLG verwies die Sache aus formellen Gründen zur erneuten Entscheidung an das Registergericht zurück.

Entscheidung
Im Rahmen des Verweisungsbeschlusses wies das Oberlandesgericht auf folgendes hin: wenn der Anspruch der Aktiengesellschaft gegen den Aktionär auf Rückgewähr der Bareinlage wirksam begründet sowie vollwertig und jederzeit fällig sei, trete trotz eines "Hin- und Herzahlens" (vereinbarter Rückgewähr) Erfüllung ein, sofern die Vereinbarung bei der Anmeldung gegenüber dem Registergericht offen gelegt wurde. Die Offenlegung der Vereinbarung über die Einlagenrückzahlung hat daher jedenfalls bei der Erstanmeldung bzw. der Anmeldung über die Kapitalerhöhung zu erfolgen. Die Nachholung einer unterlassenen Offenlegung ist allenfalls möglich, solange die Gesellschaft bzw. die Kapitalerhöhung noch nicht im Handelsregister eingetragen ist. Insoweit war die Entscheidung des Registergerichts nicht zu beanstanden.

Konsequenz
Neben dem Erfordernis, die Vereinbarung einer Einlagenrückgewähr beim Handelsregister offenzulegen, ist weiterhin zu beachten, dass eine - grundsätzlich zulässige - nachträgliche Zahlung die fortbestehende Einlageschuld nur dann tilgt, wenn sich diese spätere Leistung eindeutig der Einlageverbindlichkeit objektiv zuordnen lässt.

15. Abgrenzung Betriebsstilllegung und -übergang

Rechtslage
Verliert ein Arbeitgeber im Dienstleistungsbereich einen Auftrag an einen Konkurrenten und führt dieser den Auftrag nahtlos, mit im Wesentlichen gleichen Personen und gleicher Organisation fort, dann kommt es von Seiten der (nicht übernommenen) Arbeitnehmer regelmäßig zum Streit. Gestritten wird darüber, ob nicht ein Betriebsübergang vorgelegen hat, der dazu führt, dass Kündigungen, die der ehemalige Auftragnehmer wegen des Auftragswegfalls ausgesprochen hat, unwirksam wären. Zu dieser Abgrenzung zwischen Betriebsstilllegung wegen Auftragswegfalls und Betriebsübergang wegen nahtloser Fortsetzung der Tätigkeit hat jüngst das Landesarbeitsgericht Düsseldorf entschieden.

Sachverhalt
Die Kläger waren bei der Beklagten in dem spezialisierten Bereich der Flugzeuginnenreinigung beschäftigt. Als die Beklagte den Auftrag einer Luftfahrtgesellschaft an ein Schwesterunternehmen verlor, kündigte sie einigen Beschäftigten (andere wurden von der Schwestergesellschaft übernommen), weil beim bisherigen Arbeitgeber mit dem Auftragswegfall der Bereich Flugzeuginnenreinigung nicht mehr existiere. Die Kläger gingen dagegen von einem Betriebsübergang auf die Schwestergesellschaft aus.

Entscheidung
Das Gericht urteilte zugunsten der Kläger und ging ebenfalls von einem Betriebsübergang auf die Schwestergesellschaft aus. Dieser ergebe sich daraus, dass die Reinigungsaufträge nahtlos und in gleicher Weise von der Schwestergesellschaft ausgeführt würden, die Schwestergesellschaft einen wesentlichen Teil der Belegschaft übernommen habe und die Arbeitsmethodik im Wesentlichen gleich geblieben sei.

Konsequenz
Die Entscheidung zeigt die Abgrenzungslinie zwischen Betriebsstilllegung und Betriebsübergang. Insbesondere im Bereich der Auftragsneuvergabe ist wesentliches Kriterium einer identitätswahrenden Betriebsfortführung die Übernahme von wesentlichen Teilen der Stammbelegschaft. Kommt dann noch hinzu, dass gleiche Arbeitsmethodik verwendet wird und es zu keiner Unterbrechung der Tätigkeiten kommt, wird regelmäßig ein Betriebsübergang anzunehmen sein.

16. Keine Inlandsberatung durch ausländischen StB ohne Berufshaftpflichtversicherung

Kernaussage
Ein Steuerberater ist gesetzlich verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Verstößt er hiergegen, muss er damit rechnen, dass die Steuerberaterkammer die Bestellung zum Steuerberater widerruft. Auch ausländische Steuerberatungsgesellschaften dürfen entsprechend ohne Berufshaftpflichtversicherung nicht in Deutschland tätig werden.

Sachverhalt
Die Klägerin ist eine in Großbritannien registrierte Private Limited Company (Ltd.) Wirtschafts- und Steuerberatungsgesellschaft mit Niederlassungen in den Niederlanden und Belgien. Wegen Vermögensverfalls widerrief die deutsche Steuerberaterkammer die Bestellung des vertretungsberechtigten "Directors" zum Steuerberater. Die Klägerin ist weder nach dem Steuerberatungsgesetz anerkannt, noch verfügt sie über eine Haftpflichtversicherung. Dennoch wurden von den Niederlanden aus in Deutschland ansässige Steuerpflichtige von der Klägerin in Steuersachen betreut. Das Finanzamt wies die Klägerin als Bevollmächtigte zurück. Hiergegen richtete sich die Klage, die der Bundesfinanzhof schließlich als unbegründet abwies.

Entscheidung
Das Finanzamt hat zu Recht die Bevollmächtigung zurückgewiesen. Personen, die in einem Mitgliedstaat der EU beruflich niedergelassen sind und dort geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, sind zwar auch zur vorübergehenden und gelegentlich geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen auf dem Gebiet der Bundesrepublik befugt. Bei ihrer Tätigkeit unterliegen sie aber denselben Berufsregel wie die in Deutschland zu unbeschränkter Hilfeleistung in Steuersachen befugten Personen (z. B. Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte). Hierzu gehört insbesondere der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung. Es steht auch nicht der unionsrechtlich gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit entgegen, wenn nach deutschem Recht der Abschluss einer Berufshaftpflicht erforderlich ist. Denn die Regelung ist nicht diskriminierend und ist zum Schutz der Verbraucher infolge der sich aus der Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren dringend erforderlich.

Konsequenz
Das Urteil fügt sich in die bisherige Rechtsprechung ein. Die Mandanten wären anderenfalls potentiellen Haftpflichtrisiken ausgesetzt, die deren Vermögensinteressen erheblich gefährden könnten. Dieser Schutzgedanke muss selbstverständlich auch in Bezug auf ausländische Gesellschaften Geltung erlangen.

17. Umfang des Markenschutzes in der EU

Kernproblem
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich jüngst damit befasst, ob Marks & Spencer durch Benutzung von Schlüsselwörtern, die der Marke ihres Mitbewerbers Interflora entsprechen, im Rahmen des Google-Referenzierungsdienstes eine der "Funktionen" dieser Marke beeinträchtigt oder diese in unlauterer Weise ausgenutzt (Trittbrettfahren) hat.

Sachverhalt
Interflora Inc., ein amerikanisches Unternehmen, betreibt ein weltweites Blumenliefernetz. Bei den angeschlossenen Floristen können Bestellungen aufgegeben werden, die dann von dem Mitglied, das dem Lieferort am nächsten ist, ausgeführt werden. British Unit ist Lizenznehmerin von Interflora Inc.; Interflora ist eine nationale englische und eine Gemeinschaftsmarke. Die Marken sind in der EU sehr bekannt. Marks & Spencer (M) ist eines der wichtigsten Einzelhandelsunternehmen in England, das auch Blumen ausliefert und damit im Wettbewerb zu Interflora steht. Für den Google-Referenzierungsdienst wählte M verschiedene Varianten des Wortes "Interflora" als Schlüsselwörter, so dass bei der Benutzung dieses Wortes durch Google-User jedes Mal eine Werbeanzeige von M erschien. Interflora erhob daraufhin in England gegen M Klage wegen Verletzung ihrer Markenrechte. Das englische Gericht legt die Frage dem EuGH vor.

Entscheidung
Der EuGH stellte fest, dass die herkunftshinweisende Funktion einer Marke unter folgender Voraussetzung beeinträchtigt ist: für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer (Benutzer des Schlüsselwortes) ist nicht oder nur schwer zu erkennen, ob die in der Anzeige beworbenen Waren oder Dienstleistungen von dem Inhaber der Marke oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen oder vielmehr von einem Dritten stammen. Dagegen beeinträchtigt die Benutzung eines mit einer fremden Marke identischen Zeichens im Rahmen eines Internetreferenzierungsdienstes wie "AdWords" nicht die Werbefunktion der Marke. Das nationale Gericht muss nun prüfen, ob die Benutzung des mit der Marke Interflora identischen Zeichens durch M die Möglichkeit von Interflora gefährdet, einen Ruf zu wahren, der geeignet ist, Verbraucher anzuziehen und zu binden.

Konsequenz
Weiterhin stellte der EuGH fest, dass es als sog. Trittbrettfahren zu beurteilen sein kann, wenn ohne "rechtfertigenden Grund" im Rahmen eines Referenzierungsdienstes Zeichen ausgewählt werden, die mit einer fremden bekannten Marke identisch oder ihr ähnlich sind. Dies kann insbesondere für Fälle anzunehmen sein, in denen Werbende im Internet mittels Auswahl von Schlüsselwörtern, die bekannten Marken entsprechen, Waren zum Verkauf anbieten, die Nachahmungen von Waren des Inhabers dieser Marken sind.

18. Bilanzierung eines "Bearbeitungsentgelts" für einen Kredit

Kernaussage
Für ein vom Darlehensnehmer bei Abschluss des Kreditvertrags zu zahlendes "Bearbeitungsentgelt" ist kein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden, wenn das Entgelt im Falle einer vorzeitigen Vertragsbeendigung nicht (anteilig) zurückzuerstatten ist.

Sachverhalt
Eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand der Handel mit Möbeln und Einrichtungsgegenständen ist, hatte zur Finanzierung ihres Möbelhauses im Jahr 2001 3 Darlehen mit einer Zinsfestschreibung aufgenommen. Es musste ein einmaliges, nicht laufzeitabhängiges Bearbeitungsentgelt von 4 % der Darlehensvaluta entrichtet werden. In ihrer Gewinnermittlung beantragte die GmbH den Ansatz der Bearbeitungsentgelte als sofort abziehbare Betriebsausgaben. Das Finanzamt war der Auffassung, die Bearbeitungsentgelte seien auf der Basis der Gesamtlaufzeiten der Darlehen abzugrenzen und legte aktive RAP zugrunde. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht ab.

Entscheidung
Im Rahmen der Berufung hatte der Bundesfinanzhof (BFH) zu entscheiden, ob das Bearbeitungsentgelt Aufwand "für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag" darstellte. Der Vorleistungscharakter ist zu bejahen, wenn der Empfänger die Leistung bei vorzeitiger Vertragsbeendigung zeitanteilig zurückzuzahlen hat. Darf der Empfänger die Zahlung hingegen im Falle der vorzeitigen Vertragsbeendigung behalten, ist das jedenfalls ein gewichtiges Indiz gegen die Zeitraumbezogenheit der Gegenleistung. In dem zu entscheidenden Fall konnte die zu Vertragsbeginn geleistete Zahlung nicht mehr anteilig zurückgefordert werden, so dass die Zahlung grundsätzlich nicht aktiv abzugrenzen war. Etwas anderes gilt in diesem Fall jedoch, wenn das Dauerschuldverhältnis auf mehrere Jahre zu festen Bedingungen abgeschlossen ist und nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann und wenn konkrete Anhaltspunkte dafür fehlen, dass die Vertragsparteien dieser Möglichkeit mehr als eine rein theoretische Bedeutung beigemessen haben.

Konsequenz
Mit diesem Urteil grenzt der BFH die unterschiedliche Behandlung der Bearbeitungsentgelte voneinander ab und lässt im Falle einer vorzeitigen Vertragsbeendigung ohne anteilige Rückzahlung des Entgeltes den Ansatz als sofort abzugsfähige Betriebsausgabe grundsätzlich zu. Im Einzelfall ist auf die vertraglich vereinbarten Kündigungsmöglichkeiten der Darlehen abzustellen.

19. Haftung der handelnden Personen bei Vorrats- und Mantelgesellschaft

Rechtslage
Bei der Verwendung einer Vorratsgesellschaft oder eines gebrauchten GmbH-Mantels sind die Gründungsvorschriften des GmbH-Gesetzes sowie die Vorschriften der registergerichtlichen Kontrolle entsprechend anzuwenden. Die Geschäftsführer haben bei der Anmeldung der "(Re-) Vitalisierung" zu versichern, dass die Stammeinlagen erbracht sind und zu ihrer freien Verfügung stehen. Nicht nur die Gründungs- und Handelndenhaftung, sondern auch die Unterbilanz- oder Vorbelastungshaftung ist zu beachten. Die Haftung im Stadium der wirtschaftlichen Neugründung ist zeitlich begrenzt durch die Offenlegung gegenüber dem Handelsregister.

Sachverhalt
Der Beklagte ist Geschäftsführer einer GmbH, die am 25.10.2006 als Vorratsgesellschaft ins Handelsregister eingetragen wurde. Bereits am 10.10.2006 wurden die Geschäftsanteile der Gesellschaft übertragen. Zugleich wurden der Unternehmensgegenstand, die Firma und der Gesellschaftssitz geändert, der Geschäftsführer abberufen und der Beklagte zum neuen Geschäftsführer bestellt. Der Beklagte meldete diese Änderungen am gleichen Tag beim Handelsregister an und versicherte, dass das Stammkapital vorhanden sei und sich in seiner freien Verfügungsgewalt befinde. Eine Eintragung dieser Anmeldung unterblieb. Im Jahr 2007 erbrachte die Klägerin Leistungen für die GmbH, deren Bezahlung sie vom Beklagten persönlich begehrt.

Entscheidung
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine Haftung des Beklagten abgelehnt. Im Falle einer wirtschaftlichen Neugründung durch die Verwendung einer Vorratsgesellschaft oder die Aktivierung eines leeren "GmbH-Mantels" kommt eine Außenhaftung als Handelndenhaftung nur dann in Betracht, wenn die Geschäfte vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung aufgenommen wurden, ohne dass dem alle Gesellschafter zugestimmt haben - etwa weil die Geschäftsführer ihre Vertretungsmacht überschritten haben. Waren im Zeitpunkt der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung die Angaben des Geschäftsführers hinsichtlich des Stammkapitals falsch, kann ebenfalls eine entsprechende Haftung ausgelöst werden. Beide Haftungstatbestände hat der BGH im vorliegenden Fall verneint. Im Übrigen fehlte es an einer wirtschaftlichen Neugründung, da die Änderungen bereits vor Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister beschlossen und auch vollzogen wurden.

Konsequenz
Das Urteil fügt sich in die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Vorratsgründung und zum Mantelkauf ein. Eine Abgrenzung der wirtschaftlichen Neugründung von einer Umstrukturierung kann im Einzelfall problematisch sein, insbesondere dann, wenn weder eine vollständige Vermögenslosigkeit der GmbH vorliegt, noch das Unternehmen gänzlich eingestellt wurde.

20. Bei Urlaubsentgeltberechnung können Zulagen zu berücksichtigen sein

Kernfrage
Das Urlaubsentgelt bemisst sich in der Regel nach einem Durchschnittssatz des tatsächlich erzielten Arbeitsentgeltes in einem festgelegten Zeitraum in der Vergangenheit. Insbesondere wenn verschiedene Gehaltsbestandteile bestehen, kann die Berechnung im Einzelnen schwierig sein. Der Europäische Gerichtshof hatte nunmehr (aus einem englischen Ausgangsfall heraus) über die Berechnungsgrundlagen des Urlaubsentgeltes zu befinden; insbesondere ob und welche Zulagen in die Berechnung mit einbezogen werden müssen.

Sachverhalt
Die Kläger waren Piloten einer englischen Fluggesellschaft, deren Gehalt aus 3 Komponenten bestand, nämlich Grundgehalt, einer Stundenzulage für die planmäßigen Flugstunden und einer Stundenzulage für die Dauer der Abwesenheit vom Stützpunkt. Nur das Grundgehalt wurde bei der Berechnung des für den Jahresurlaub gezahlten Entgelts berücksichtigt. Die Kläger sahen hierin einen Verstoß gegen die Arbeitszeitrichtlinie, die jedem Arbeitnehmer einen Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von 4 Wochen einräume. Auf Vorlage des Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs hatte der Europäische Gerichtshof zu entscheiden.

Entscheidung
Zulagen können bei der Berechnung des Urlaubsentgelts zu berücksichtigen sein. Grundsätzlich gelte, dass Arbeitnehmern während des Urlaubs das gewöhnliche Entgelt weiterzuzahlen ist. Bestehe das Entgelt aus mehreren Komponenten, erfordere die Berechnung eine spezifische Prüfung. Für Zulagen sei zu differenzieren: Zulagen, mit denen eine Unannehmlichkeit abgegolten werde, die untrennbar mit den arbeitsvertraglichen Pflichten verbunden sei, müsse bei der Berechnung des Urlaubsentgelts berücksichtigt werden. Während des Urlaubs fortzuzahlen seien zudem alle Gehaltsbestandteile, die an die persönliche und berufliche Stellung des Arbeitnehmers anknüpften (z. B. Zulagen aufgrund einer Leitungsfunktion, der Betriebszugehörigkeit oder der beruflichen Qualifikation). Dagegen seien Zulagen, die ausschließlich gelegentlich anfallende Kosten oder Nebenkosten decken sollen, nicht zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund war der Gerichtshof der Auffassung, die Zulage für planmäßige Flugstunden sei aufgrund ihrer untrennbaren Verbundenheit mit der Tätigkeit beim Urlaubsentgelt zu berücksichtigen, die Abwesenheitszulage aber nicht, weil sie gelegentliche Kosten abgelten solle. Die letzte Entscheidung über die Einordnung der Zulagen nach den vom Gerichtshof entwickelten Grundsätzen bliebe aber beim nationalen Gericht.

Konsequenz
Mit seiner Entscheidung hat der Gerichtshof - bezogen auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch - europäische Grundsätze zur Berechnung des Urlaubsentgelts formuliert. Zwar ist es Aufgabe der nationalen Gerichte, diese umzusetzen, es ist aber damit zu rechnen, dass nunmehr auch in Deutschland Urlaubsentgelte neu zu berechnen sind. Als Beispiele seien nur erwähnt Funktionszulagen oder Zulagen für den Bereitschaftsdienst.

21. Auflösung einer als GbR ausgestalteten Publikumsgesellschaft

Kernaussage
Nach Auflösung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) steht die Geschäftsführung und Vertretung allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zu. Dies gilt auch für eine als GbR ausgestaltete Publikumsgesellschaft. Abweichende Regelungen können durch Gesellschaftsvertrag oder durch Gesellschafterbeschluss getroffen werden.

Sachverhalt
Die Klägerin ist eine Beteiligungs-Gesellschaft in Form einer GbR in Liquidation. Sie wurde mit dem Zweck errichtet, sich nach der Verschmelzung einer GmbH auf eine AG an dem geplanten Börsengang der AG zu beteiligen. Der Beklagte ist einer von ca. 3.400 Gesellschaftern. Er hatte seine Genussrechtsbeteiligung an der GmbH aufgehoben und den Abfindungsanspruch in die Beteiligung bei der GbR eingebracht (sog. Genussrechtswandler). Sowohl die GmbH als auch die AG wurden in der Folge insolvent. Eine Zahlung auf die eingebrachte Forderung erfolgte nicht. Auf einer Gesellschafterversammlung der Klägerin sollte ein Liquidator bestimmt werden. Ein Beschluss wurde nicht gefasst. Die Klägerin, vertreten durch den Gründungsgesellschafter als "Liquidator", verlangt von dem Beklagten die Zahlung des Nominalbetrages der eingebrachten Genussrechtsforderung. Die Klage hatte in keiner Instanz Erfolg.

Entscheidung
Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte die Unzulässigkeit der Klage. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei der AG konnte der Zweck der Klägerin nicht mehr erreicht werden. Sie war daher aufzulösen. Die Auflösung hat grundsätzlich zur Folge, dass die einzelnen Gesellschaftern verliehene Einzelgeschäftsführungsbefugnis erlischt. Die Geschäftsführung und Vertretung steht von der Auflösung an allen Gesellschaftern gemeinsam zu. Eine Ausnahme ergibt sich nur, wenn im Gesellschaftsvertrag etwas Abweichendes geregelt ist oder ein entsprechender Gesellschafterbeschluss gefasst wurde. Dies scheidet vorliegend aus. Eine entsprechende Anwendung von gesetzlichen Vorschriften, wonach der Vorstand oder der Geschäftsführer geborener Liquidator ist, scheidet aus. Auch für eine Publikumspersonengesellschaft fehlt es an einer Regelungslücke, da die Handlungsfähigkeit der Klägerin dadurch hergestellt werden kann, dass das Gericht aus wichtigem Grund Liquidatoren bestellt.

Konsequenz
Anleger von Beteiligungsgesellschaften sollten im Falle der Auseinandersetzung der Personengesellschaft prüfen, ob die Gesellschaft noch ordnungsgemäß vertreten ist. Hierbei finden die Gesellschaftsverträge und Beitrittserklärungen Berücksichtigung. Ferner sind die Protokolle der Gesellschafterversammlungen einzusehen.

22. Private Internetnutzung nicht ohne weiteres Kündigungsgrund

Rechtslage
Die unzulässige private Internetnutzung während der Arbeitszeit ist oftmals Auslöser von fristlosen Kündigungen. Dabei gilt im arbeitsrechtlichen Bereich, dass die exzessive private Nutzung und/oder die Nutzung für straferhebliche oder pornografische Zwecke auch eine sofortige fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) hatte nunmehr zu den Rahmenbedingungen einer solchen Kündigung im öffentlichen Dienst zu entscheiden.

Sachverhalt
Der Kläger war lange im öffentlichen Dienst beschäftigt und Mitglied des Personalrates. Ihm stand ein Computer zur Verfügung, den er zu privaten Zwecken (innerhalb eines Zeitraums von 7 Wochen an insgesamt zwölf Tagen jeweils eine Stunde) nutzte. Auf dieser Grundlage sollte der Arbeitnehmer fristlos aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden. Die für die Kündigung erforderliche Zustimmung des Personalrates versuchte der Arbeitgeber auf gerichtlichem Weg zu erlangen.

Entscheidung
Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen sah - anders als noch die erste Instanz - keine Gründe für eine außerordentliche Kündigung. Auf Kündigungen im öffentlichen Dienst, die auf unzulässige private Computernutzung gestützt würden, seien die in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze anzuwenden. Danach sei eine fristlose Kündigung zwar bei exzessiver bzw. ausschweifender privater Nutzung während der Arbeitszeit möglich. Die erforderlichen Schwellen seien aber nicht erreicht. Hinzu komme, dass die vorgeworfene Nutzung teilweise außerhalb der nach dem Dienstplan zu leistenden Arbeitszeit liege, und das Arbeitsverhältnis bisher unbeanstandet war.

Konsequenz
Im öffentlichen Dienst finden auf Kündigungen wegen unzulässiger privater Internetnutzung die arbeitsrechtlichen Grundsätze Anwendung. Öffentliches Sonderrecht gibt es insoweit nicht.

23. Kündigung bei Beschäftigung in katholischer Einrichtung wegen Wiederverheiratung zulässig?

Kernfrage
Für Einrichtungen in konfessioneller Trägerschaft bzw. für Religionsgemeinschaft in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber (sogenannte Tendenzbetriebe) gelten besondere arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen. So darf beispielsweise die Begründung und der Bestand des Arbeitsverhältnisses an die Konfessionszugehörigkeit des Arbeitnehmers gekoppelt werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte nun für eine katholische Einrichtung zu entscheiden, ob die Wiederverheiratung nach Scheidung einen Kündigungsgrund darstellen kann.

Sachverhalt
Der Kläger war als leitender Angestellter einer katholischen Einrichtung tätig, für die die Grundordnung des kirchlichen Dienstes galt. Diese lässt Kündigungen aus kirchenspezifischen Gründen bei einem schweren Loyalitätsverstoß zu, was u. a. der Abschluss einer nach katholischem Kirchen-Verständnis unwirksamen Ehe sein kann. Der Beklagte hatte sich von seiner ersten Frau scheiden lassen und sodann seine Lebensgefährtin geheiratet. Hierauf reagierte der Arbeitsgeber mit Kündigung; allerdings beschäftigte er auch nicht katholische wiederverheiratete Personen in leitender Position.

Entscheidung
Das Bundesarbeitsgerichts hielt die Kündigung im Ergebnis (wie auch die Vorinstanzen) für unwirksam; allerdings ausschließlich deshalb weil das Interesse an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwog, nachdem der Arbeitgeber auch andere leitende Angestellte beschäftigte, die nicht katholischer Glaubens- und Sittenlehre entsprachen. Zudem habe der Arbeitgeber die Zeit des Zusammenlebens in nichtehelicher Lebensgemeinschaft bei gleichzeitiger Nichtscheidung der ersten Ehe toleriert. Das Gericht stellte aber fest, dass die Wiederverheiratung dem Grunde nach einen eine Kündigung rechtfertigenden schweren Loyalitätsverstoß darstellen könne.

Konsequenz
Unabhängig vom konkreten Ausgang des Verfahrens und der Frage, ob das Verhalten des Arbeitgebers (noch) "zeitgemäß" war, bestätigt das Bundesarbeitsgericht, dass Tendenzbetriebe durchaus die Möglichkeit haben, sich in Teilen eigenes Arbeitsrecht zu geben.

24. Unangemessen niedrige Streitwertfestsetzung - Betrug?

Kernaussage
Anwälte müssen an einer sachgerechten Streitwertfestsetzung mitwirken. Tun sie dies nicht, kann das Gericht den Streitwert so hoch festsetzen, dass Anwälte ihrer Mitwirkungspflicht im Rahmen des Antrags auf Streitwertkorrektur nachkommen. Die vorherige Ansetzung eines zu geringen Streitwerts kann als versuchter Betrug gewertet werden.

Sachverhalt
Die Parteien stritten vor dem Landgericht Düsseldorf über eine Patentverletzung im Bereich der UMTS-Technik. Den maßgeblichen Gesamtumsatz der Beklagten bis zum voraussichtlichen Ablauf des Klagepatents gab die Klägerin nach eigener Auswertung mit rund 2 Mrd. EUR an. Auf diesen Betrag sollte die Beklage vorgerichtlich im Rahmen eines Vergleichsangebots einen Lizenzsatz von 0,5 % (ca. 11,15 Mio. EUR) zahlen. Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift den Streitwert mit 5 Mio. EUR angegeben. Das Landgericht hat den Streitwert auf 30 Mio. EUR geschätzt und festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die eine Herabsetzung des Streitwerts auf 11,15 Mio. EUR begehrt.

Entscheidung
Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat die Beschwerde zurückgewiesen. Der Streitwert ist vom Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen. Maßgeblich ist das wirtschaftliche Interesse, das die Klägerin mit der Klage objektiv verfolgt. Entscheidende Kriterien sind die bei Klageerhebung noch gegebene Restlaufzeit des Klagepatents, Umsatz, Größe und Marktstellung des Klägers. Unter Berücksichtigung des mitgeteilten Umsatzes und eines Lizenzsatz von 1,5 % erschien der geschätzte Streitwert als angemessen. Zugleich bestand gegenüber der Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigten der Verdacht eines versuchten Betruges zu Lasten der Landeskasse. Nach Erfahrung des Senats stellt es eine regelmäßige Praxis dar, dass beide Parteien kollusiv zulasten der Landeskasse zusammenwirken, um mit einem niedrigen Streitwert Gerichtskosten zu sparen. Der Grund hierfür liegt in der streitwertunabhängigen Abrechnung der Parteivertreter nach Stundensätzen. Durch die "eingesparten" Gerichtsgebühren steht den Anwälten ein weiterer Spielraum für die Abrechnung zusätzlichen eigenen Honorars zu.

Konsequenz
Es bleibt abzuwarten, ob das OLG straf- und berufsrechtliche Maßnahmen einleiten wird und ein Strafgericht einen Betrug nachwiesen kann. Die Begründung des OLG erscheint nicht nachvollziehbar und ist mit der gängigen anwaltlichen Praxis auch nicht in Einklang zu bringen. Soweit der Kläger obsiegt, würde eine Kostenerstattung durch den unterlegenen Prozessgegner nur zu einem entsprechend geringeren Teil erfolgen. Rechtsstaatlich bedenklich ist nach der Begründung auch, dass sich ein Anwalt mit dem Antrag auf Streitwertkorrektur stets der Gefahr des Betrugsversuchs aussetzen kann.

25. Formelle Anforderungen bei Betriebsratswahl sind hoch

Kernfrage
Die Wahlen zum Betriebsrat erfolgen grundsätzlich in geheimer Wahl. Zuständig für die Durchführung der Wahlen (Organisation, Bekanntmachung, Durchführung, Auszählung etc.) ist der ebenfalls zu wählende Wahlvorstand. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte über die Einhaltung des Erfordernisses einer geheimen Wahl zu entscheiden, weil der Wahlvorstand keine Wahlumschläge zur Verfügung gestellt hatte.

Sachverhalt
Im Rahmen der geheimen Betriebsratswahl wurde in einem Unternehmen ein Betriebsrat neu gewählt. Dabei entsprach der Wahlzettel zum einen nicht der Vorschlagsliste, zum anderen stellte der Betriebsrat keine Wahlumschläge zur Verfügung, in denen die Wahlzettel hätten abgegeben werden können. Die Betriebsratswahl wurde von verschiedenen Arbeitnehmern angefochten.

Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht hielt die Betriebsratswahl ebenfalls für unwirksam. Unabhängig davon, ob der Wahlzettel auch formal der Vorschlagsliste entsprechen müsse, sei das Nicht-zur-Verfügung-stellen von Wahlumschlägen ein solch gravierender Verstoß gegen die Regelungen zur geheimen Wahl, dass diese nicht mehr gewährleistet war.

Konsequenz
Die Entscheidung zeigt die Bedeutung der formellen Anforderungen an Betriebsratswahlen. Weil diese geheim erfolgen müssen, muss der Wahlvorstand letztendlich sicher stellen, dass die geheime Stimmabgabe auch gewährleistet ist. Im Ergebnis sind insoweit an eine Betriebsratswahl keine anderen Anforderungen zu stellen wie an eine Bundestagswahl.

26. Arbeitsaltersgrenze bei Piloten ist europarechtswidrig

Kernfrage
Gesetze, Tarifverträge und/oder Arbeitsverträge können Altersgrenzen vorschreiben, deren Erreichen zum Ende einer (bestimmten) Beschäftigung führt. Insbesondere gilt dies für gefahrintensive Tätigkeitsbereiche. Gleichzeitig verbieten europäische wie nationale Richtlinien bzw. Gesetze die Diskriminierung wegen Alters. Der Europäische Gerichtshof hatte nunmehr über die Zulässigkeit einer deutschen Tarifvertragsregelung unter europäischem Recht zu entscheiden, nach der die Arbeitsverhältnisse des Cockpit-Personals mit Erreichen des 60. Lebensjahres enden.

Sachverhalt
Die Tarifverträge der Fluggesellschaft Lufthansa sehen vor, dass die Arbeitsverträge des Cockpitpersonals, also insbesondere der Piloten, mit Erreichen des 60. Lebensjahres automatisch enden. Hiergegen hatten mehrere Piloten wegen Altersdiskriminierung geklagt und die Fortsetzung ihrer Arbeitsverhältnisse verlangt.

Entscheidung
Der Europäische Gerichtshof entschied auf die Vorlage des Bundesarbeitsgerichts hin zugunsten der Piloten. Zwar seien Diskriminierungen wegen Alters dort zu rechtfertigen, wo Tätigkeiten gewisse körperliche Fähigkeiten erforderten, die mit dem Alter regelmäßig nachließen. Ferner sei eine Diskriminierungen wegen Alters dann zu dulden, wenn sie aufgrund nationaler Gesetzgebung zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit notwendig sei. Vor diesem Hintergrund sei die tarifvertragliche Regelung isoliert betrachtet sogar zu rechtfertigen. Allerdings sehen die außertariflichen und internationalen Regelungen eine Altersgrenze von 65 Jahren vor, so dass ein generelles Tätigkeitsverbot (= Beendigung des Arbeitsverhältnisses) unverhältnismäßig und nicht zu rechtfertigen sei.

Konsequenz
Der Europäische Gerichtshof kippt mit seiner Entscheidung eine dem Grunde nach rechtmäßige tarifvertragliche Regelung, weil sie im Kontext zu gleichartigen Regelungen im außertariflichen Bereich diskriminierend ist. Damit erweitert das Gericht die Angriffsmöglichkeiten gegen tarifvertragliche Regelungen, wenn parallel "bessere" Regelungen auf dem freien Markt bestehen.

27. Gehaltskürzung wegen Betriebsübergangs europarechtswidrig?

Rechtslage
Nach Europarecht gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsvertrag auf den Erwerber über. Zudem erhält der Erwerber die in einem Tarifvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Tarifvertrages oder bis zum Inkrafttreten eines neuen Tarifvertrages insoweit aufrecht, wie dies der Tarifvertrag beim Veräußerer vorsah.

Sachverhalt
Die Arbeitnehmerin war in Italien zunächst 20 Jahre im öffentlichen Dienst beschäftigt gewesen, bevor ihr Arbeitsverhältnis auf eine andere Einrichtung des öffentlichen Dienstes, für die ein anderer Tarifvertrag galt, überging. Beim neuen Arbeitgeber erhielt sie ein Gehalt, das unter zutreffender Berücksichtigung des dort geltenden Tarifvertrages einer fiktiven Einstufung von 9 geleisteten Dienstjahren entsprach. Hiergegen klagte die Arbeitnehmerin. Sie war der Ansicht, die Gehaltseinstufung hätte nach Maßgabe eines Dienstalters von rd. 20 Jahren erfolgen müssen.

Entscheidung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) gab der Arbeitnehmerin Recht. Zwar dürfe der neue Arbeitgeber die bei ihm geltenden Tarifverträge - und zwar auch mit Rücksicht auf das Gehalt - auf die übergehenden Arbeitsverhältnisse anwenden. Allerdings müsse dabei verhindert werden, dass sich die Lage der übergegangenen Arbeitnehmer alleine wegen des Übergangs verschlechtere. Da die Neueingruppierung beim neuen Arbeitgeber nicht den gesamten Zeitraum an Dienstzeit beim alten Arbeitgeber umfasse, sei alleine wegen des Übergangs gegen diese Grundsatz verstoßen worden.

Konsequenz
Mit seiner Entscheidung gewährt der Europäische Gerichtshof im Rahmen eines Betriebsübergangs übergehenden Arbeitnehmern Bestandsschutz mit Rücksicht auf ihre Eingruppierungen. Unabhängig davon, dass es zulässig ist, einen beim Übernehmer geltenden Tarifvertrag auf die übergehenden Arbeitnehmer anzuwenden, muss sichergestellt sein, dass die Arbeitnehmer nach diesem neuen Tarifvertrag im Wesentlichen gleiche Arbeitsbedingungen beibehalten.

28. Leistungsklage ausgeschiedener Gesellschafter wg. Abfindungsansprüchen zulässig?

Kernaussage
Das Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Personengesellschaft führt grundsätzlich zu einer Durchsetzungssperre, wonach seine Ansprüche gegen die Gesellschaft und die Gesellschafter nicht mehr einzeln klageweise geltend gemacht werden können. Diese sind vielmehr als unselbstständige Rechnungsposten in die Schlussrechnung aufzunehmen. Die vertragliche Vereinbarung der Fälligkeit der Abfindungsraten begründet keine Abweichung von der Durchsetzungssperre.

Sachverhalt
Der Kläger war als Steuerberater mit den Beklagten als Rechtsanwälten in einer überörtlichen Sozietät in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) verbunden. Der Gesellschaftsvertrag enthielt hinsichtlich des Ausscheidens eines Gesellschafters aus der Gesellschaft eine Regelung, wonach diesem ein Abfindungsanspruch in Höhe seines Anteils am tatsächlichen Kanzleiwert - bemessen nach dem Umsatz des vorangegangenen Kalenderjahres - zustand. Die Abfindung sollte in 5 gleichen Jahresraten, jeweils fällig am 1.1. des auf das Ausscheiden folgenden Kalenderjahres, zahlbar sein. Nach seinem Ausscheiden berechnete der Kläger seinen Abfindungsanspruch und machte diesen klageweise geltend. Die Beklagten bestritten die Höhe und die Durchsetzbarkeit des Anspruchs und rechneten hilfsweise mit Gegenforderungen auf. Das Oberlandesgericht (OLG) gab der Klage im Wesentlichen statt.

Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück, denn das OLG hätte sich mit den Gegenansprüchen der Beklagten befassen müssen. Die Auflösung einer GbR, ebenso wie das Ausscheiden eines Gesellschafters, hat grundsätzlich zur Folge, dass gegenseitige Ansprüche nicht mehr selbstständig im Wege einer Zahlungsklage durchgesetzt werden können. Erforderlich ist die Erstellung einer Auseinandersetzungsrechnung, deren Saldo ergibt, wer von wem noch etwas zu fordern hat. Für die Geltendmachung von Einzelansprüchen bedarf es einer klaren gesellschaftsvertraglichen Regelung. Die Bestimmung der Fälligkeit der Abfindungsraten begründet keine Selbstständigkeit der Einzelansprüche. Sie führt nur dazu, dass nach Fälligkeit auf Leistung geklagt werden kann. Im Rahmen dieser Zahlungsklage hat eine Saldierung der gegenseitigen Ansprüche zu erfolgen.

Konsequenz
Im Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft sind klare Regelungen über die Art der Abfindung, deren Berechnung und deren Zahlungskonditionen zu treffen. Bei Freiberuflersozietäten sind weitergehende Bestimmungen zur Anrechung bzw. zum Ausgleich bei der Mitnahme von Mandanten zu vereinbaren.

29. Betriebsübergang bei Zwangsverwaltung eines Grundstücks?

Kernaussage
Kündigt der Zwangsverwalter eines Grundstücks den Pachtvertrag über ein auf dem Grundstück betriebenes Hotel und führt er den Hotelbetrieb dann selbst weiter, so liegt ein Betriebsübergang vom früheren Pächter auf den Zwangsverwalter vor. Dies entschied kürzlich das Bundesarbeitsgericht (BAG).

Sachverhalt
Die Klägerin war in dem von einer GmbH betriebenen Hotel als Hausdame beschäftigt. Die GmbH hatte das Hotel von der Grundstückseigentümerin, einer weiteren GmbH, gepachtet. Aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen diese GmbH wurde der Beklagte durch gerichtlichen Beschluss zum Zwangsverwalter des Grundstücks bestellt. Nachdem er wegen Pachtzinsrückständen den Pachtvertrag mit der hotelbetreibenden GmbH gekündigt und die Zwangsräumung gegen diese durchgeführt hatte, führte er den Hotelbetrieb selbst weiter. Zu diesem Zwecke schloss er mit allen Mitarbeitern außer der Klägerin neue Arbeitsverträge. Die Klägerin erhob daraufhin Klage auf Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis mit der GmbH auf den Beklagten übergegangen sei. Das Landesarbeitsgericht wies die Klage ab. Mit ihrer Revision hatte die Klägerin vor dem BAG Erfolg.

Entscheidung
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der nunmehr zwangsverwalteten GmbH war auf den Beklagten übergegangen. Das Gesetz bestimmt den Übergang bestehender Arbeitsverhältnisse, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht. Ausreichend dazu ist auch die bloße Fortführung des Gewerbebetriebs ohne ausdrückliche Zustimmung des Schuldners, weil bereits eine entsprechende Willensbekundung des Zwangsverwalters im Zusammenhang mit der Anordnung der Zwangsverwaltung ausreicht. Ein Betriebsübergang von dem früheren Pächter des Hotels auf den Zwangsverwalter, der den Hotelbetrieb fortführt, scheitert deshalb hier nicht daran, dass die Zwangsverwaltung und die Bestellung des Zwangsverwalters durch einen Beschluss des Amtsgerichts angeordnet und das Betreiben des Hotels durch den Zwangsverwalter vom Vollstreckungsgericht genehmigt worden war.

Konsequenz
Die Kündigung des Pachtvertrags mit dem früheren Pächter und die sich daran anschließende Fortführung des Hotelbetriebs durch den Zwangsverwalter ist ein Übergang des Hotelbetriebs "durch Rechtsgeschäft" i. S. d. gesetzlichen Bestimmungen zum Betriebsübergang. Die Entscheidung zeigt, dass an das Vorliegen der Voraussetzung "durch Rechtsgeschäft" kein hohen Anforderungen zu stellen sind: selbst bei Fehlen einer Willensbekundung des Schuldners zur Betriebsfortführung kann ein Übergang gegeben sein.

30. Arbeitgeber hat nicht immer Anspruch auf Ersatz von Detektivkosten

Kernaussage
Ist ein Arbeitnehmer während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens einer anderen Beschäftigung nachgegangen und deckt ein vom Arbeitgeber beauftragter Detektiv dies auf, muss der Arbeitnehmer die Detektivkosten nicht zwangsläufig ersetzen. Das Landesarbeitsgericht Hamm entschied kürzlich, dass eine Ersatzpflicht jedenfalls dann ausscheidet, wenn sich die Überwachung des Arbeitnehmers auf einen Zeitraum erstreckte, für den dieser keine Ansprüche geltend macht.

Sachverhalt
Der beklagte Arbeitnehmer war von Februar bis August 2009 als Kraftfahrer für den klagenden Arbeitgeber tätig. Der Arbeitgeber sprach im August 2009 eine Änderungskündigung aus, gegen die der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhob. Er forderte im Laufe des Verfahrens auch Arbeitsentgelt für den Zeitraum von September bis Dezember 2009 ein. Nachdem der Arbeitgeber im Mai 2010 insgesamt 7 fristlose Kündigungen aussprach, schlossen die Parteien im Juli 2010 einen Vergleich, nach dem das Arbeitsverhältnis Ende August 2009 endete und der Arbeitnehmer eine Abfindung in Höhe von 4.400 EUR erhielt. Der Arbeitgeber hatte den Arbeitnehmer im Mai und Juni 2010 durch Detektive überwachen lassen und hierfür rd. 21.000 EUR gezahlt. Der Arbeitgeber trug im Prozess vor, die beauftragten Detektive hätten festgestellt, dass der Arbeitnehmer im Mai und Juni 2010 einer anderweitigen Beschäftigung nachgegangen sei. Dies hatte der Arbeitnehmer vor Abschluss des gerichtlichen Vergleichs wahrheitswidrig verneint. Der Arbeitgeber verlangte Erstattung der Detektivkosten und Auskunft darüber, welche Einkünfte der Arbeitnehmer erzielt habe. Er blieb in allen Instanzen erfolglos.

Entscheidung
Schon das Arbeitsgericht hatte ausgeführt, der Arbeitnehmer sei einer vorsätzlichen Pflichtverletzung nicht überführt worden; die Höhe der Detektivkosten stehe auch in keinem angemessenen Verhältnis zum befürchteten Schaden. Der Arbeitgeber benötige keine Auskunft über die Höhe etwaiger Einkünfte, da er die Abfindung nach den Angaben der Lohnsteuerkarte berechnen könne. Für das Landesarbeitsgericht war weiterhin maßgeblich, dass sich die Überwachung durch die Detektive auf einen Zeitraum erstreckte, für den der Arbeitnehmer im vorhergehenden Kündigungsschutzprozess keine Ansprüche geltend gemacht hatte. Es war auch nicht ersichtlich, dass es in Bezug auf diese Zeitspanne zu einer Erweiterung des Vorprozesses gekommen wäre.

Konsequenz
Ein Anspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer auf Erstattung von Detektivkosten kommt nur dann in Betracht, wenn die arbeitnehmerseitig geltend gemachten Ansprüche nicht in den Zeitraum der Überwachung fallen.

31. Arbeitnehmer können nicht für gesamte Dienstkleidung einen eigenen Spind beanspruchen

Kernaussage
Wenn Arbeitnehmer Dienstkleidung tragen müssen, hat der Arbeitgeber nicht notwendigerweise dafür zu sorgen, dass die Kleidungsstücke stets vollzählig und in gebrauchsfertigem Zustand im Dienstspind aufbewahrt werden können. Das Landesarbeitsgericht Hessen entschied nun in einem eher ungewöhnlichen Fall, dass Arbeitnehmer grundsätzlich darauf verwiesen werden können, z. B. Uniformjacken und Mützen an einer offenen Garderobe aufzuhängen.

Sachverhalt
Der Kläger, ein Ordnungspolizist bei der beklagten nordhessischen Stadt, hatte während seiner Arbeit Dienstuniform zu tragen. Die Dienstkleidung bestand aus mehreren Hosen, Hemden, Pullovern, Strickjacke, Blouson, Parka, Lederjacke sowie einer Warnjacke und -weste. Zur Aufbewahrung der Dienstuniform stand dem Kläger ein abschließbarer 1,75m x 1,00m Spind, sowie für die Wertsachen ein Safe zur Verfügung. Ferner bestand die Möglichkeit, die Dienst- und Privatkleidung an einer offenen Garderobe aufzuhängen. Der Kläger verlangte, ihm entweder einen größeren Spind zur Unterbringung seiner gesamten Dienstkleidung zur Verfügung zu stellen oder aber einen Betrag von 30 EUR monatlich als Aufwendungsersatz für die private Aufbewahrung seiner Dienstuniform an ihn zu zahlen. Das Aufhängen seiner Dienstkleidung an der offenen Garderobe sei jedenfalls unzumutbar. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Entscheidung
Die genormte Größe des dem Kläger zur Verfügung gestellten Dienstspindes war ausreichend; für weitere Ansprüche existieren weder im Gesetz, noch in der städtischen Trageordnung noch im Tarifvertrag Anspruchsgrundlagen.

Konsequenz
Es ist grundsätzlich in Ordnung, wenn Arbeitnehmer ihre Dienstkleidung teilweise an offenen Garderoben aufhängen müssen und nicht vollzählig im privaten abschließbaren Spind aufbewahren können. Wenn für Wertsachen noch ein verschließbares Wertfach zur Verfügung gestellt wird, genügt dies. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.



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Mit freundlichen Grüßen



Stephan Gißewski

Steuerberater


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